Wie kann die Entwicklung des ländlichen Raumes zu lebendigen, lebenswerten und wirtschaftlich attraktiven Gemeinden gelingen?
Während Zentralisierung und Globalisierung den Spielraum für die einzelne Kommune immer weiter einengen, liegt ein besondere Chance in der Dezentralität: Die Möglichkeiten zur Selbstversorgung und Selbstverwaltung sind nirgendwo so groß, wie im ländlichen Raum.
Mit den im Folgenden vorgestellten Thesen sollen am Beispiel der Verbandsgemeinde Thalfang am Erbeskopf Wege zur Entwicklung aufgezeigt werden.
Einleitung
Der finale Kollaps wird definitiv kommen
„Wir sollten uns nur das leisten, wofür wir auch das Geld haben.“
„Machen Sie es wie der clevere Adel seit Jahrhunderten und investieren Sie in Sachwerte wie Land, Wald, Acker, Edelmetalle und direkte Unternehmensbeteiligungen.“
[Quelle: Handelsblatt, 27.11.2014]
„Zunehmend habe ich den Eindruck, dass unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung im Zenit ihrer Entwicklung angelangt ist. Im Grunde hat sie damit keine Zukunftsperspektive mehr. Die Art wie wir leben, ist nicht verallgemeinerungsfähig. Wir können unsere materiellen Ansprüche an die Erde und ihre Ressourcen nicht auf die große Mehrheit der Menschheit übertragen. […] Das heißt aber, dass die Fortführung unserer eigenen Lebens-weise nur möglich ist, wenn sie auch in Zukunft einer privilegierten Minderheit, den hochentwickelten Industrienationen, vorbehalten bleibt.“
[Kurt Biedenkopf, Tagebuch 1989-90]
Thesen
Der Vorteil der Nähe
1. Nirgendwo kann so direkt auf das Leben der Bürger Einfluss genommen werden, wie bei der politischen Gestaltung in den Gemeinden – diese Chance gilt es zu nutzen.
2. Die Gemeinde ist der Raum, in dem ein respektvolles und nachbarschaftliches Miteinander – ungeachtet von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion – gelebt wird.
Attraktivität und wirtschaftlichen Leistungskraft
3. Die Attraktivität der Gemeinde (nach innen und außen) ist unmittelbar mit ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft verbunden. Die Selbstversorgung mit landwirt-schaftlichen Erzeugnissen und Energie sorgen für Arbeit und Einkommen und stärken den Bezug der Einwohner zur Gemeinde. Je weiter das lokale Produkt- (Lebensmittel, Bäcker, Fleischer) und Dienst-leistungsangebot (Schule, Kindergarten, Arzt, Handwerk, Gastronomie) gefasst ist, desto geringer fällt das Mobilitätsbedürfnis aus.
Erst hieraus erwächst der Rahmen für touristische Attraktivität (attraktives Dorfbild, gastronomisches Angebot, regionale Lebensmittel).
Rechtliche Grundlage
4. Die Gemeinde ist Grundlage und zugleich Glied des demokratischen Staates. Sie ist berufen das Wohl ihrer Einwohner zu fördern [§ 1 (1) GemO RLP].
5. Die Verbandsgemeindeverwaltung führt die Verwaltungsgeschäfte im Namen und Auftrag der Ortsgemeinderäte und Ortsbürgermeister [§ 68 GemO RLP].
6. Im Unterschied zu Ortsgemeinden verfügt die Verbandsgemeinde über kein gemeindliches Eigentum wie Forst und Ländereien.
Die Verbandsgemeinde ist Dienstleister der Ortsgemein-den. Sie ist verpflichtet die gemeindlichen Strukturen zur kommunalen Daseinsvorsorge zu stärken.
Ein Engagement bei freiwilligen Leistungen der Verbandsgemeindesollte nur erfolgen, wenn dies nicht zu einer langfristigen Dauerverschuldung der Orts- und / oder Verbandsgemeinde führt.
Die Rolle der Ortsgemeinden
7. Stärkung, Ausbau und Bewahrung der Strukturen zur Selbstversorgung und Selbstverwaltung der Ortsgemeinden
Durch die Urproduktion wird eine weitreichende Selbstversorgung dörflicher Struk-turen (wieder) angestrebt. Dies betrifft die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie. Die Urproduktion schafft die materielle Grundlage zur Selbstverwaltungsfähigkeit der Ortsgemeinden.
Die dörflichen Ortsgemeinden verfügen dafür über das entscheidende Kapital: Fläche.
Insbesondere kommunale Flächen sind die Grundlage für einen beispielhaften, nachhaltigen und boden-erhaltenden Nahrungsmittelanbau. Erst die Weite des ländlichen Raums schafft auch die Möglichkeit zur Nutzung mit Windenergieanlagen.
Die Bewirtschaftung der Anbauflächen kann in Eigenproduktion oder Verpachtung, vorrangig an Nebenerwerbsbauern, kleinbäuerliche Familienbetriebe oder individuelle Selbstversorger erfolgen.
8. Wirtschaftskreisläufe schließen
Der Konsum von vor Ort hergestellten Gütern und Dienstleistungen schließt Finanzströme und erhöht den Wohlstand. Durch das Etablieren einer Regionalmarke wird die Identifikation mit lokalen Produkten und der Region gestärkt.
Anders als beispielsweise durch Tourismus muss nicht ständig neues Kapital von außen in den örtlichen Wirtschaftskreislauf eingebracht werden.
9. Energieversorgung
Photovoltaikanlagen auf kommunalen und privaten Gebäuden tragen zur Selbstversorgung und lokalen Wertschöpfung – somit auch zur wirtschaftlichen Stärkung – bei.
Durch die eigene Bewirtschaftung des Gemeindeforstes wird Nutz- und Brennholz gewonnen. Das Nutzen von Reststoffen aus landwirtschaftlichem Anbau und Viehhaltung, sowie Holzverarbeitung und Forstwirtschaft erlaubt eine weitgehende Selbstversorgung auch mit Wärme.
Nahwärmenetze auf Basis lokaler Brennstoffe (Biogas, Holzhackschnitzel, Solarenergie) reduzieren die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und den Abfluss von Finanzmitteln.
10. Interkommunale Zusam-menarbeit der Ortsgemeinden
Gleichberechtigte und freiwillige Kooperationen von gemeindlichen Windparks, Forstbetrieben, Feuerwehr, Schuleinrichtungen und Kindertagesstätten wahren die Interessen auch kleiner Kommunen besser, als Zweckverbände.
11. Potenzialanalyse
Es bedarf einer umfassenden Bestandsaufnahme, über welches Potential die Ortsgemeinden zur Wiederaneignung der Urproduktion und Eigenversorgung besitzen. Erst anhand der Ist-Situation lassen sich die Möglichkeiten für eine zukunftsfähige Ausgestaltung aufzeigen.
12. Dezentralität innerhalb der Verbandsgemeinde
Eine Ansiedlung und Förderung von Betrieben und Dienstleistungen soll innerhalb der Verbandsgemeinde Thalfang am Erbeskopf dezentral in den Ortsgemeinden erfolgen.
Beispiele hierzu sind Handel, Handwerk, Gewerbe, Industrie, Dienstleistungsbetriebe, Mobilitätsangebote, Breitband-Internetversorgung, Mehrgenerationen-Wohnsiedlungen / selbst-verwaltete Jugendzentren, Bildungs- und Kulturangebote sowie Gastronomie.
13. Subsidiarität
Alles was eine Ortsgemeinde selber leisten kann und will, soll lokal erbracht werden. Nur wenn dies nicht möglich ist, soll die VG-Verwaltung überörtlich unterstützend z.B. durch die Förderung interkommunaler Zusammenarbeit oder einer Aufgabenübernahme auf freiwilliger Übereinkunft unterstützend mitwirken.
14. Dörfliche Innenentwicklung vor Außenentwicklung
Ziel ist ein solidarisches Zusammenwirken der Ortsgemeinden in Abstimmung mit der VG-Verwaltung sowie der Ortsgemeinden untereinander.
Flächenverbrauch für neue Siedlungen und Gewerbe bedeutet in aller Regel den Verlust von Flächen für den land- und forstwirtschaftlichen Anbau. Gleichzeitig erhöht die Ausweitung von Versorgungsinfrastrukturen (Strom, Gas, Wasser Abwasser, …) die Fixkosten für den Betrieb und die Instandhaltung und belastet damit dauerhaft sämtliche Verbraucher.
Die Dorfkerne sind als Mischgebiete mit Wohn- und Gewerbebereichen, vorzugsweise zur eigenen Versorgung, zu reaktivieren.
Finanzen
15. Finanzieller Spielraum
Die Ortsgemeinden benötigen finanzielle Spielräume, um die ihnen aufgetragenen Pflichtaufgaben und freiwillige Leistungen (z.B. Unterhaltung und Betrieb von Gemeindehäusern) erfüllen zu können.
Die VG-Verwaltung trägt durch die Senkung der Umlagenbelastung bei. Gleichzeitig wirkt die VG-Verwaltung als Schutzschild der Ortsgemeinden gegenüber Kreis, Land, Bund und EU.
16. Die Rolle der Urproduktion und die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips
Die Wiederbelebung der Dorfzentren vermeidet, dass die Ortsgemeinden zu Schlafdörfern degenerieren und dass das Interesse der Bewohner am Erhalt des dörflichen Gemeinschaftslebens schwindet.
Im Fokus der wirtschaftlichen Entwicklung muss die Wertschöpfung vor Ort stehen. Die Eigenversorgung mit Lebensmitteln und Energie, sowie Handwerk und Dienstleistungen für Alltagsbelange stehen dabei im Mittelpunkt.
Zusammenfassung
17. Selbstversorgung und -waltung
Es existieren reale Möglichkeiten gibt, die Wiederaneignung der Urproduktion zu verwirklichen. Damit wird eine unabdingbare Grundlage für die dörfliche Selbstversorgung und Selbstverwaltung geschaffen.
Dörfliche Gemeinden können somit selbstbewusst neue, gleichberechtigte Stadt-Land-Beziehungen durch unmittelbare dezentrale Energieversorgung und Nahrungsmittelversorgung herstellen und gewährleisten.
Die Verwirklichung der Urproduktion in den Ortsgemeinden ist zudem eine kulturelle Leistung, in der alle materiellen und geistigen Fähigkeiten ganzheitlich entfaltet werden.
18. Kommunalreform
Die wirtschaftliche Stärkung der Ortsgemeinden führt bei der Kommunal- und Verwaltungsreform zu einer Verbesserung der Verhandlungsposition mit anderen Gemeindeverbänden.